Wie schlägt man Wladimir Klitschko? Diese Frage beschäftigt die Welt des Schwergewichtboxens seit 11 Jahren. Vor dem Kampf des Ukrainers gegen Tyson Fury haben wir beim Champion 6 Schwachstellen ausgemacht, die der Herausforderer nutzen könnte.
Gegen Tyson Fury verteidigt Wladimir Klitschko zum 24. Mal einen Weltmeistertitel. Er setzt gegen den Engländer seine Titel der IBF, WBO, WBA und IBO aufs Spiel. Seit 2004 ist der Ukrainer ungeschlagen. Das ist Rekord im Schwergewicht.
Auch gegen Fury steigt Klitschko als Favorit in den Ring. Seine Sieg-Quote liegt bei 1.20 (Fury 5.25). Gewinnt er gegen den bisher ungeschlagenen Fury, würde er seine Kampfbilanz auf 65 Siege gegenüber 3 Niederlagen ausbauen.
Die Tatsachen, dass der Kampf in Düsseldorf stattfinden wird (darauf gehen wir später noch näher ein) und dass beide Boxer mit Handschuhen von Pfaffen Sport antreten müssen, sind Vorteile für Klitschko. Fury hatte im Sparring große Probleme mit der Wahl der Handschuhe, weil sie ihm zu unbequem waren. Normalerweise nutzt der Brite Handschuhe der Marke Reyes, die weniger gepolstert sind.
Der Austragungsort und die Wahl der Handschuhe sowie die Erfahrung und die Rekordserie sprechen also klar für Klitschko. Doch auch Klitschko hat Schwachstellen, auf die wir im Folgenden näher eingehen.

Sein Kinn: Eine der größten Schwachstellen ist das Kinn von Klitschko. Im Boxen spricht man vom Glaskinn. 3 Niederlagen kassierte der 39-Jährige bisher in seiner Karriere, alle 3 durch TKO. Viele meinen, Klitschko könne heftige Schläge nicht wegstecken. Allerdings hat er auch schon das Gegenteil bewiesen: Gegen Samuel Peter ging Klitschko vor 10 Jahren 3 Mal zu Boden, gewann den Kampf allerdings trotzdem nach Punkten. Viele seiner Fights bestritt er gegen körperlich unterlegene Kämpfer, die nicht in der Lage waren, ihn mit Schlägen zuzusetzen und ihm technisch das Wasser zureichen. Fury dagegen hat die Größe, um Klitschko mit aggressivem Boxen vor Probleme zu. Aber: Auch Furys Kinn ist nicht das härteste in der Branche. Vor allem gegen Steve Cunningham war das offensichtlich und der ist eher im Cruiser-, als im Schwergewicht zu Hause. Der Kampf sollte Fury eine Warnung sein, denn Klitschkos Eisenfäuste werden mehr Schaden anrichten als die von Cunningham.
Mentale Verfassung: Klitschko ist ein harter Arbeiter, der sich vorbildlich auf die Kämpfe vorbereitet. Dadurch war er bisher immer in der Lage, auch die umkämpften Fights zu gewinnen. Aber wie lang kann Klitschko die Konzentration und die Fokussierung noch so hoch halten? Durch die Geburt seiner Tochter (mit seiner Verlobten Hayden Panettiere) ist Boxen nicht mehr das Wichtigste in seinem Leben. Mittlerweile ist er 39 Jahre. Sein Körper hat immer öfter mit Blessuren zu kämpfen. Auch am Ukrainer nagt der Zahn der Zeit. Bei seinem Sieg im April gegen Bryant Jennings nach Punkten ließ er bereits einiges seiner bekannten Klasse vermissen. Darüber hinaus könnte seine Strategie auf Nummer sicher zu gehen und nicht das Risiko zu suchen ihn in Schwierigkeiten bringen. Seit seinem Kampf im April 2011 gegen David Haye musste Klitschko in 3 Kämpfen über die volle Distanz gehen, obwohl er außer Alexander Povetkin keinen wirklich starken Herausforderer vor den Fäusten hatte. Der Tod seines Trainers Manny Stewart 2012 spielt dabei auch eine Rolle. Dieser trieb seinen Schützling regelmäßig zu aggressiverem Boxen und verlangte Schlagkombinationen, um die Gegner zu zermürben. Mit Stewart gewann der Ukrainer vor dem Haye-Kampf 5 Fights in Serie vorzeitig. Unter seinem jetzigen Trainer Johnathon Banks ist sein Stil nicht mehr so offensiv. Das könnte Tyson Fury nutzen, wenn er in den späteren Runden noch Kondition und Power hat.
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Klitschkos spannender 12-Runden-Sieg gegen Eddie Chambers
Schlag Timing: Wie bereits erwähnt boxte Klitschko eine Menge an ähnlichen Gegnern in seiner langen Regentschaft, von denen nicht viele zu den Top-Boxern im Schwergewicht gehörten. Die meisten hatten einen ähnlichen Stil und machten ähnliche Fehler. Die bevorzugte Klitschko-Strategie in den Kämpfen: Er hielt seine körperlich unterlegenen Gegner auf Distanz, attackierte sie aus der Entfernung mit dem linken Jab und ließ den rechten Cross folgen. Diejenigen mit guter Beinarbeit und schnellen Kopfbewegungen verursachten beim Ukrainer die größten Probleme. Bei flexiblen Bewegungsabläufen hatte Klitschko mit seinem Schlag Timing zu kämpfen. Povetkin und Jennings hatten damit Erfolg und forderten den Weltmeister über die volle Distanz.
Schwerpunkt auf dem hinteren Bein: Weil Klitschko so gut wie immer einen Größen- und Reichweitenvorteil gegenüber seinen Gegnern hatte, war es relativ einfach für ihn, in der Mitte des Rings zu dominieren, die Balance auf dem vorderen Fuß zu halten und das Tempo der Kämpfe mit seinem Jab zu diktieren. Der kleinere Boxer musste dann beweisen, dass er die Distanz überbücken kann, um mit Klitschko in den Infight zu kommen. Und selbst wenn es dazu kommt, kann Klitschko sein gesamtes Körpergewicht nach vorn auf den kleineren Gegner drücken. Somit spart er Energie und gönnt sich eine Ruhepause. Es braucht einen starken Ringrichter, um in Form von Punktabzügen diese Taktik des Weltmeisters zu unterbinden. Eine schlichte Trennung der Boxer nutzt Klitschko nämlich wieder, um sich hinter seinem Jab zu verstecken. Das ist auch der Grund, warum der Standort Düsseldorf ein Nachteil für Fury ist. 12 der letzten 15 Klitschko-Kämpfe fanden in Deutschland statt. Die Tendenz der Ringrichter in den Kämpfen ging jeweils dahin, die Taktik des Ukrainers zu dulden und nicht konsequent zu bestrafen. Erst spät in den Kämpfen wurde das Vorgehen Klitschkos geahndet, aber da lag der Champion bereits auf den Scorecards weit in Führung. Mit seinem Größenvorteil wird Fury kein Opfer dieser Taktik. Klitschko kann sein Gewicht also nicht auf den Gegner verlagern, sondern muss den Schwerpunkt stets auf dem hinteren Bein halten.

Infight suchen: Einen Schritt zurückweichen und den Schwerpunkt des Körpers leicht verlagern, ist eine Möglichkeit, um sich zusätzlichen Platz für einen Schlag zu verschaffen. Auch das Ansetzen eines Aufwärtshakens ist möglich. Mobilität und Flexibilität in der Körperhaltung sind zwangsläufig große Vorteile eines Boxers. Wenn Fury es dadurch schafft Klitschko in den Infight zu zwingen, kann er seine überlegene Größe nutzen, um wichtige Körpertreffer zu landen und Klitschko aus dem Gleichgewicht zu bringen.
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Die fur(y)iose Pressekonferenz von Tyson Fury vor dem Kampf mit Klitschko
Zu wenig Körpertreffer: Da Klitschkos Jab seit Jahren eine starke Waffe ist und gut funktioniert, braucht der Ukrainer nicht wirklich einen Plan B. Es ist selten zu sehen, dass Klitschko Körpertreffer landet. Stattdessen versucht er fast immer seinen Jab und den folgenden Cross ins Ziel (Kopftreffer) zu bringen. Fury sollte da anders vorgehen. Variation ist erforderlich. Weil die Herausforderer von seinem Glaskinn wissen, sind Kopftreffer immer ihr Ziel. Da es in Deutschland nahezu unmöglich ist, den Champion nach Punkten zu besiegen, muss ein K.O. das Ziel sein. Das kann allerdings auch ein Leberhaken sein. Klitschko ist eindeutig in erstklassigem Zustand, aber das bedeutet nicht, dass er nicht von Schlägen auf den Körper verletzt werden kann.