16. Mai 1992. Eine solche Konstellation hat es in der Bundesliga zuvor noch nie gegeben. Am letzten Spieltag kämpften mit Eintracht Frankfurt, dem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund 3 Klubs um die Deutsche Meisterschaft. Ein epochales Fußball-Drama, das bei Protagonisten auch nach 25 Jahren noch präsent ist.
Das „Trauma von Rostock“ – so nennt die Frankfurter Allgemeine Zeitung den schicksalhaften Bundesliga-Finaltag vor exakt 25 Jahren, der Wiesbadener Kurier erzählte am Montag die „Geschichte einer Fußballkatastrophe“.
Katastrophen sind etwas anderes. Dennoch. Rostock wird für jeden Eintracht-Spieler, jeden Verantwortlichen und für alle Fans der Hessen, die damals im Ostseestadion dabei waren oder an der Großbildleinwand mitfieberten, für immer schmerzlicher Teil ihrer Fußball-Vita bleiben. In Frankfurt sind die Erinnerungen an den Dreikampf um den Meistertitel schmerzhafter als beim 2. Verlierer, Borussia Dortmund. Weil es der Eintracht – anders als dem BVB – danach nie mehr gelang, die Meisterschale zu holen. Dass 3 Klubs um die Schale rangelten, erlebte die Liga auch 2002 und 2009 – aber nie war es dramatischer als 1992.
Rückblende. 16. Mai 1992. 38. und letzter Spieltag einer einmaligen Bundesliga-Saison. Durch die Erweiterung mit den beiden ostdeutschen Vereinen Dynamo Dresden und FC Hansa Rostock spielt die Liga zum 1. und einzigen Mal mit 20 Klubs – und erlebt am letzten Spieltag zum 1. Mal eine Meister-Konstellation mit 3 möglichen Titelträgern. Mit völlig offenem Ausgang. Die 3 punktgleichen Meisterschafts-Anwärter, Eintracht Frankfurt, der VfB Stuttgart und Borussia Dortmund (jeweils 50 Zähler), spielen allesamt auswärts. Die Frankfurter – als Tabellenführer ins Rennen gegangen – haben beim Fast-Absteiger aus Rostock die scheinbar leichteste Aufgabe. Stuttgart tritt in Leverkusen an, wo die Bayer-Elf noch Chancen auf einen UEFA-Cup-Rang hat. Der BVB hat beim ebenfalls stark abstiegsgefährdeten MSV Duisburg dank der Unterstützung von mehr als 15.000 Fans ein Heimspiel.
Sternstunde des Bundesliga-Radios
Die Dortmunder führen nach 10 Minuten 1:0 durch ihren Goalgetter Stéphane Chapuisat (20 Saisontreffer) –und sind nun in der Pole Position. Stuttgart mit Trainer Christoph Daum geht in Leverkusen nach 20 Minuten durch Martin Kree mit 0:1 in Rückstand, verliert Superstar Matthias Sammer nach Platzverweis. Auch das 1:1 der Schwaben durch Top-Torjäger Fritz Walter (43.) hält Dortmund noch an der Spitze. Auf der Bank kriechen BVB-Trainer Ottmar Hitzfeld in Duisburg und sein Team förmlich in ihre Radio-Geräte.
In Rostock kann die von Dragoslav Stepanovic trainierte Frankfurter Eintracht ihre Nervosität zu keinem Zeitpunkt der Partie ablegen. Auch das zwischenzeitliche 1:1 von Axel Kruse, den „Stepi“ dem eigentlich gesetzten Stürmer Jörn Andersen vorgezogen hat, bringt nach dem Rostocker Führungstreffer von Jens Dowe (65.) keine Ruhe ins Spiel. „Einige Spieler“, so glaubt der damalige Frankfurter Ralf Weber bis heute, „sind nicht an ihre Leistungsgrenze gekommen, Axel Kruse wollte in der 1. Halbzeit einen Heber machen, der misslang. Mit Arroganz hatte es aber nichts zu tun.“
Frankfurt am Boden – aber „Lebbe geht weider“
Und dann kommt die 76. Minute. Der einschussbereite Ralf Weber wird vom späteren Rostocker Torschützen Stefan Böger im Strafraum gefoult, Schiedsrichter Alfons Berg aus Konz gibt jedoch keinen Elfmeter. Es ist der Moment, der Frankfurt den Titel kostet. Auch das Klatschen von Edgar Schmitts Pfostenschuss (88.) hören die Eintracht-Fans wohl bis heute. Bögers 2:1 in der 90. Minute durchkreuzt alle Frankfurter Party-Pläne – der Mannschaftsbus ist mit Champagner vollgepackt, das Bankett im Hotel am Frankfurter Flughafen längst organisiert. „In der Kabine heulten gestandene Profis wie Falkenmayer, Binz und Weber. Andy Möller saß geistesabwesend auf seiner Bank“, schildert Stepanovic 2013 in seinem Buch Lebbe geht weider die Eintracht-Depression – und gibt in Rostock bei der anschließenden Pressekonferenz im putzigen serbo-hessischen Dialekt die Lösung aus: „Lebbe geht weider.“
Dass Stuttgart sich in der 86. Minute durch einen Treffer von Weltmeister Guido Buchwald in Unterzahl die Schale holt und – dank besserer Tordifferenz – auch den BVB ins Tal der Tränen stürzt, interessiert in Rostock niemanden.
Jubelt die Eintracht 25 Jahre später?
„Es war ein glasklarer Elfmeter“, sagt Ralf Weber (182 BL-Spiele für Eintracht Frankfurt zwischen 1989 und 2001), der vor Wut später eine RTL-Kamera zertrümmert, dem Kicker (Donnerstagsausgabe), „ich wurde 5 Meter vor dem Tor einfach umgemäht.“ Für Webers damaligen Teamkollegen Manfred Binz ist klar: „Durch dieses Ergebnis wurde eine goldene Ära der Eintracht verhindert.“
Immerhin: 25 Jahre danach gibt es durchaus Trost für die Verlierer von 1992. Am 27. Mai können sich Eintracht Frankfurt oder Borussia Dortmund in Berlin mit dem DFB-Pokal den 1. Titel nach 29 bzw. nach 5 Jahren sichern. Der Sieger von damals wird wieder feiern: Der VfB steht vor der fast sicheren Bundesliga-Rückkehr.