Bereit für das Oberhaus – Kaum Platz für Eventfans
Die Verhältnisse in der Hauptstadt sind klar. Die im westlichen Stadtteil Charlottenburg beheimatete Hertha blickt ambitioniert auf die Saison 2019/20 (alle Bundesliga-Wetten) – dank Millionen-Spritze von Investor Lars Windhorst! Auf der anderen Seite der Stadt, da wo der Hauptmann von Köpenick wacht, unternehmen sie ihre ersten Gehversuche in der Bundesliga und atmen weiterhin pure Nostalgie. „Es verändert sich nichts, gar nichts“, versprach Union-Präsident Dirk Zingler nach der Relegation gegen den VfB Stuttgart (2:2/0:0).
Mit Ausnahme des Mitglieder-Booms – durch die 5000 dazu gewonnen Vereinsmitglieder seit dem Aufstieg, ist bald die 30.000er Marke in Sicht – lässt sich diese Aussage so unterschreiben. Event-Zuschauern wird hier keine echte Anlaufstelle geboten. Welcher andere Erstligist spielt in einem Stadion mit 3 reinen Stehplatz-Tribünen, einst von eigenen Fans mühsam in 140.000 Arbeitsstunden umgebaut? Unbezahlt, versteht sich.
Wo sonst als an der Alten Försterei gibt es neben der digitalen Anzeigetafel noch eine analoge, aus einer Ziegelstein-Bude bediente Version? Und welcher Bundesliga-Aufsteiger hat bitteschön einen Geschäftsführer, der gleichzeitig als Fraktionschef im Rat der Stadt Iserlohn (NRW) auftritt? Gemeint ist Oliver Ruhnert! Der engagierte Linkspartei-Politiker gilt als Baumeister des Aufstiegs.
Nur noch 5 bis 6 Aufstiegshelden sind gesetzt
Im Vorjahr hatte Ruhnert den erfahrenen, aber bis dato hierzulande völlig unbekannten Trainer Urs Fischer aus der Schweiz nach Berlin geholt. Unter der Regie des 53-Jährigen mauserte sich der einst von Schlossern gegründete Arbeiterklub zum besten Heim-Team der 2. Liga und presste sich dann mit eisernem Willen durch die Relegations-Mühle. Auf den ersten Blick entsteht nun wieder der Eindruck, wonach die sportliche Führung ins Risiko geht. Die Köpenicker waren auf dem Transfermarkt deutlich aktiver als die Mitaufsteiger aus Köln oder Paderborn.
Indem viele Aufstiegshelden erfahrenen Routiniers wie dem Ex-Stuttgarter Christian Gentner weichen müssen, beraubt sich Union Berlin selbst den beiden typischen Trumpfkarten eines Aufsteigers zu Saisonbeginn: Eingespieltheit und Euphorie! Vielleicht weiß Oliver Ruhnert aus seiner langjährigen Zeit als Direktor der renommierten Schalker „Knappenschmiede“ auch besser, welche Attribute über eine ganze Saison gesehen den Unterschied zwischen Klassenerhalt und Abstieg ausmachen.
Zur Erinnerung: Der SC Paderborn setzt – genau wie beim seinem letzten Bundesliga-Abenteuer – auf das Gerüst der Aufstiegsmannschaft sowie Talente, die aus der 3. Liga oder sogar noch tiefer kommen. So furios die Ostwestfalen (8 Punkte aus den ersten 4 Spielen) seinerzeit gestartet waren, so hart schlugen sie anschließend auf dem Boden im Tabellenkeller auf. Bei einer Abstiegs-Quote von 1.45 gehen unsere Buchmacher wohl von einen ähnlichen Saisonverlauf des SCP aus. Warum die Berliner (Quote 1.85) in der Gunst der bwin Bookies gestiegen sind? In erster Linie dank den Neuzugängen Neven Subotic, Christian Gentner und Anthony Ujah.
Dank Subotic und Co: Union erfahrener als 2 Klubs
Ein Trio, das sich im Abstiegskampf auskennt und mal eben die Erfahrung von 695 Bundesliga-Einsätzen in den Kader der Köpenicker spült. Zwar kickten bereits 10 weitere Union-Spieler im Oberhaus, aber nur Felix Kroos (65 Spiele), Kevin Reichel (27), Sebastian Polter (25) und Akaki Gogia (12) absolvierten eine 2-stellige Anzahl an Einsätzen. Nach dem Erfahrung-setzt-sich-durch-Prinzip würden die Eisernen mit ihrem Kader zumindest 2 Konkurrenten (siehe Grafik) hinter sich lassen.
In der möglichen Union Berlin Startelf 2019/20 finden sich nur noch eine Handvoll Aufstiegshelden, wobei sich selbst ein Akaki Gogia auf der linken Außenbahn nicht ganz sicher sein kann. Fixpunkt der Defensive bleibt der für 2 Mio. € aus Augsburg fest verpflichtete Marvin Friedrich. Der 23-Jährige erzielte per Kopf in der Relegation das wichtige 2:2 in Stuttgart. Wer in seinem neuen Partner Neven Subotic (30) nur einen abgehalfterten Star sieht, verkennt die Tatsache, dass der Ex-Dortmunder in der vergangenen Saison mit AS Saint-Etienne in Frankreich einen starken 4. Platz einfuhr und fast die Champions League erreicht hätte.
Vorne sorgen der pfeilschnelle Niederländer Sheraldo Becker sowie der bei der U21-EM entdeckte Däne Marcus Ingvartsen für Dampf. Im Sturmzentrum könnte Anthony Ujah den 12-maligen Torschützen Sebastian Andersson verdrängen. Der Nigerianer hat in der Bundesliga bereits für Werder Bremen (Saison 2015/16) und zuvor in Köln (2014/15) zweistellig getroffen. Zusätzlich Mut machen dem Underdog außerdem die Eindrücke aus den Testspielen (3 Siege, 2 Remis), darunter ein 1:1 gegen Europa League-Teilnehmer VfL Wolfsburg, sowie die Bilanz der letzten 10 Neulinge. Selbst wenn man RB Leipzig als eher untypischen Aufsteiger herausrechnet, schaffte die Mehrheit (6/9) der Vereine in der allerersten Bundesliga-Saison den Klassenerhalt.