Stefan Beinlich im bwin Interview: Hansa kann den Aufstieg schaffen
Stefan Beinlich ist ein echter Aufstiegsexperte. Zwei Mal als Spieler und ein Mal als Manager packte er mit Hansa Rostock den Sprung in die Bundesliga bzw. in die 2. Bundesliga. Als junger Spieler kickte er sich allerdings zunächst über die Premier League in den Fokus. Über die Stationen Leverkusen, Hertha BSC und Hamburger SV kehrte er wieder an die Ostsee zurück. Nach seinem Rücktritt als Hansa-Manager 2012 ist es etwas ruhiger um “Paule” Beinlich geworden. Dennoch will er nicht ausschließen, eines Tages in einer Funktion wieder zurück in den Profifußball zurückzukehren. Im exklusiven bwin Interview verrät er, warum er zwei Mal für seinen Herzensklub aufgelaufen ist und wie die Hansa-Kogge den erneuten Aufstieg in die 2. Bundesliga schaffen kann.
Sie waren am Beginn Ihrer Karriere bei Aston Villa in England. Warum sind Sie von dort zurück nach Deutschland gegangen?
Weil ich in Deutschland die Möglichkeit auf einen Stammplatz hatte. Die drei Jahre in England waren eine ausgezeichnete Lehrzeit für mich, aber als ich die Chance auf einen Stammplatz bei Rostock gesehen habe, wollte ich sie unbedingt nutzen.
Wie unterscheidet sich der englische Fußball vom deutschen?
Die Premier League ist „ehrlicher“ härter. In meiner Zeit war das so, dass in England viel Kick and Rush praktiziert wurde und es ging ordentlich auf die Socken, aber es gab damals kein Zeitschinden und niemand hat die Gelbe für den Gegner gefordert. Und die Zuschauer unterscheiden sich extrem. Die sind so emotional, dass ich mir bei einer einfachen Ecke einmal gedacht habe, da ist jetzt ein Tor gefallen.
Welche Unterschiede gibt es heute?
Mittlerweile ist auch der Fußball in England europäischer geworden. Das musste auch passieren, damit sich auch internationale Erfolge einstellen. Deswegen sind auch Trainer wie Guardiola oder Klopp in England, die alle Fußball spielen wollen und nicht Kick and Rush praktizieren möchten.
Sehen Sie die deutsche oder die englische Liga im Vorsprung?
Den deutschen Fußball sehe ich mir lieber an (lacht). Vor allem Bayern und den BVB, die einen wunderschönen Fußball spielen. Außerdem natürlich das DFB-Nationalteam. Da hat England sicher etwas aufzuholen, das Nationalteam hat international in den letzten Jahren nicht nur einmal Probleme gehabt, sich durchzusetzen.
Sie haben vorhin die Zeit in England als Lehrzeit bezeichnet. Wie sehen Sie die Jugendausbildung in Deutschland?
In der Zeit als Matthias Sammer Sportdirektor beim DFB war, hat sich die Jugendausbildung extrem weiterentwickelt. Wenn man sich ansieht, wie die U21-Nationalmannschaft den EM gewonnen hat, oder wie Deutschland mit lauter jungen Spielern den Confed-Cup gewinnt, dann kann man mit der Jugendarbeit wirklich zufrieden sein. Hier müssen wir uns vor niemandem verstecken. Besonders hervorheben muss man, dass bei uns darauf geachtet wird, eine Verbindung zwischen sportlicher und beruflicher Ausbildung zu schaffen, damit man abgesichert ist, sollte man es doch nicht schaffen.
Wie beurteilen Sie den Transfer von John Terry zu Ihrem Ex-Klub Aston Villa. War es die richtige Entscheidung vom Klub einen gestandenen, älteren Spieler wie ihn zu holen?
Wenn er körperlich fit ist und von Wehwehchen verschont bleibt, dann auf jeden Fall. Da hat man einen Spieler, der im seinem Fußballerleben alles erlebt und gewonnen und Chelsea geprägt hat. Ich denke sowieso, dass jung oder alt nicht so einen großen Unterschied macht. Letztendlich entscheidet die Qualität und manchmal benötigst du einen erfahrenen Spieler, der die Jungen führen kann.
Ist es der richtige Schritt ihm die Kapitänsbinde zu übertragen?
Na klar. Ich glaube, da stand gar nichts anderes zur Debatte. Wenn so ein Spieler verpflichtet wird und die Mannschaft führen soll, kann man ihm gleich die Binde geben.
Javier Hernandez war ein sehr wertvoller Stürmer bei Bayer Leverkusen und ist diesen Sommer zu West Ham United gewechselt. Glauben Sie, kann er dort an seine Leistungen in Leverkusen anschließen?
Da müsste ich Hellseher sein. Letztendlich muss der Spielstil zum Spieler passen. Bekommt er jetzt ausschließlich hohe, lange Bälle und muss permanent in Kopfballduelle gehen, wird er bestimmt nicht glücklich. Kann er seine Stärken einbringen, dann schon.
Die Ablösesummen explodieren derzeit. Neymar wurde gerade für 222 Millionen Euro von PSG gekauft. Haben wir die Grenze des Absurden damit überschritten?
Die ist schon lange überschritten (lacht). Das ist aber einfach die Gesellschaftsform, die auf Angebot und Nachfrage aufgebaut ist. Das zeigt sich in allen erdenklichen Bereichen der Wirtschaft, nicht nur im Fußball. Die Summen sind jedoch mittlerweile völlig utopisch, ungreifbar und nicht darstellbar. Natürlich kann man argumentieren, dass man es über das Marketing refinanziert, so wie das Real Madrid jahrelang mit David Backham oder Cristiano Ronaldo gemacht hat. Nichtsdestotrotz, wenn eine Summe über 222 Millionen für einen Menschen gezahlt wird, weil er den Verein wechselt, ist das absurd.
Ist das ungesund für den Fußball?
Ich denke schon, aber wo fängt es an und wo hört es auf?
Sie haben in Ihrer Karriere zweimal für Ihren Herzensklub Hansa Rostock gespielt. Warum sind Sie nach dem HSV noch einmal zu Rostock zurückgekehrt und wie war es für Sie?
Das war ja mein Wunsch. Vom HSV bin ich freiwillig gegangen, weil wir einfach nicht mehr auf einer Wellenlänge waren. Sergej Barbarez und ich hätten für die Hälfte der Bezüge verlängern sollen und trotzdem Führungsspieler sein. Deswegen habe ich gesagt, ich wechsle und wenn ich wechsle, dann nur zu Hansa Rostock. Ich dachte zudem, dass die Mannschaft, wenn sie punktuell verstärkt wird und einen alten Sack wie mich hat, den Aufstieg schaffen kann. Außerdem haben sich meine Mädels total gefreut und wir leben ja immer noch hier.
Wie war die Umstellung, als Sie von England zurück nach Deutschland in die zweite Liga gewechselt sind?
Wir hatten mit Frank Pagelsdorf einen Trainer, der schönen, erfolgreichen Fußball spielen wollte. Englisches Kick and Rush war überhaupt kein Thema für ihn. Bei ihm hat es geheißen: flach von hinten aufbauen, keine langen Abschläge. Mit der Strategie kam er mir sehr entgegen und wir haben uns dann ziemlich schnell zurechtgefunden und sind aufgestiegen. Das war auch das ambitionierte und erklärte Ziel von Pagelsdorf.
Was waren Ihre schönsten Momente bei Hansa Rostock?
Auf jeden Fall die beiden Aufstiege. Zusätzlich das Leben hier an der Küste und zu sehen, wie sich die Stadt entwickelt hat. Vor allem im Tourismusbereich hat sich sehr viel getan. Alles in allem ist es einfach wunderschön hier.
Toni Kroos ist ein Erfolgsbeispiel aus der Hansa Rostock-Jugend. Wie steht es derzeit um die Jugendarbeit beim Verein?
Das Problem ist, dass durch die beiden Abstiege in zweite und dritte Liga nicht mehr die Möglichkeiten vorhanden sind, viel Geld für Nachwuchsarbeit auszugeben. Aufsteigen wäre das Wichtigste. Dann könnte man hier wieder investieren und sich verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen. Derzeit ist es schwierig den Nachwuchsbereich zu erhalten und dann noch Qualität zu gewinnen.
Die Saison hat für Rostock gut begonnen. Was ist diese Saison möglich? Eventuell sogar der Aufstieg?
Ja, ich glaube schon. Pavel Dotchev ist ein einwandfreier Fachmann, der die dritte Liga sehr gut kennt, schon einmal aufgestiegen ist und ein ruhiger Typ ist. Die ersten drei Spiele wurden zu Null gespielt, was in der Liga sehr wichtig ist und außerdem hat man zweimal auswärts gewonnen. Ich hoffe man baut jetzt darauf auf und redet am Ende ein starkes Wort um den Aufstieg mit.
Worauf kommt es in der dritten Liga besonders an?
Das Entscheidende in der Liga ist, dass du eine homogene Mannschaft sowohl in erfolgreichen als auch schwierigen Zeiten hast. In der dritten Liga wird vielleicht nicht der schönste Fußball gespielt, aber das ist die Liga für Kampfgeist und Wille. Das ist das, was die Hansa auch braucht. Hinten kompakt stehen, motiviert nach vorne marschieren und zeigen, dass man wirklich in die zweite Liga will. Die Unterstützung der Fans ist da. Rostock hat ja trotz dritter Liga einen Zuschauerschnitt von 12000 Zuschauern.
Sie sind gebürtiger Berliner, haben aber den größten Teil ihrer aktiven Karriere bei Rostock verbracht und waren nach dem Karriereende auch als Manager beim Verein tätig. Woher kommt diese starke Bindung zum Club?
Die kam durch die ersten drei Jahre hier. Wir waren damals ein kleiner Kader und haben hier eine riesige Euphorie entfacht. Plötzlich hatten wir ausverkauftes Haus und haben den Aufstieg geschafft. Trotzdem ist beim Verein immer alles sehr familiär geblieben. Ich bin ja 1997 auch nicht gewechselt, weil ich mich nicht wohlgefühlt hätte, sondern weil es sportlich der nächste Schritt war, nach Leverkusen zu gehen. Um Champions League oder im Nationalteam zu spielen, musst du das tun.
Hansa Rostock hat immer wieder Probleme mit gewaltbereiten Fans. Gibt es für diese Probleme eine Lösung?
Nein, das ist wie mit den absurden Ablösesummen. Das ist kein Rostock-Problem, oder Problem im Osten, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Ich will niemanden verleumden, aber auch nahezu jedes Team in der ersten Liga hat Probleme mit gewaltbereiten Fans. Um das zu lösen, müssten alle an einem Strang ziehen: Politik, Medien, Vereine, DFB, DFL, Fanclubs usw. Wie es im Detail funktionieren soll diese „Fans“, die den Fußball kaputtmachen, aus dem Stadion zu bekommen, weiß ich leider nicht.
Wie beurteilen Sie die Aussage von Ansgar Brinkmann, in der er sich mit den gewaltbereiten Fans von Dresden solidarisiert? Sind solche Statements von Ex-Fußballern problematisch?
Also ich glaube, wenn Brinkmann etwas sagt, ist es nicht problematisch für irgendjemanden. So einen hohen Stellenwert hat er nicht. Ganz allgemein haben solche Ausschreitungen und Krawalle, die von den sogenannten Fans veranstaltet werden, mit Fußball nichts zu tun und schaden immer den Clubs und dem ganzen Fußball. Das ist traurig, weil der Fußball die beliebteste Sportart ist, wo Familien zusehen gehen, wo es um Spaß und eine tolle Atmosphäre geht. Und drei Prozent der Fans sind gewaltbereite Idioten, die genau das kaputtmachen.
1997 sind Sie nach Leverkusen gewechselt. Bayer hat eine schwierige Saison hinter sich, in der man zeitweise gegen den Abstieg gespielt hat. Schafft man diese Saison den Weg zurück an die Spitze?
Ja, ich denke schon. Ich finde es auch richtig, dass in Leverkusen der Anspruch Champions League heißt und nicht Abstiegskampf. Man darf aber nicht vergessen, dass natürlich mittlerweile auch viele andere Mannschaften diesen Anspruch formulieren.
Was waren letzte Saison die Fehler bei Bayer Leverkusen?
Läuft es einmal nicht, kommst du schnell in einen Strudel, in dem du das Selbstvertrauen verlierst, unnötige Gegentore bekommst und auch vorne die einfachen Dinger nicht machst. Und aus dem Strudel kommst du so schnell nicht wieder heraus.
Was muss Leverkusen am Kader verändern, damit man diese Saison wieder Erfolg hat?
Da sollte man als ehemaliger Spieler nicht zu viel mitmischen, weil man nicht im täglichen Geschäft aktiv ist (lacht). Ich denke aber, dass Leverkusen in allen Bereichen zulegen muss.
Julian Baumgartlinger hat eine relativ schwache Saison gespielt und wird gerade mit Hoffenheim in Verbindung gebracht. Sollte man die Möglichkeit nutzen und ihn abgeben?
Er hatte in Mainz einige sehr gute Jahre. Aber Mainz ist nicht Leverkusen. Nichtsdestotrotz war letzte Saison die ganze Mannschaft schwach und gerade dann ist es als Neuzugang schwer. Ich denke, dass die nächste Saison die entscheidende für ihn ist.
Welche Ziele haben Sie in Ihrer Karriere nicht erreicht?
Ich hätte gerne mal einen Titel gewonnen (lacht). Ich habe zwar Aufstiege gefeiert und den Ligapokal gewonnen und bin Reservemeister geworden, aber so etwas wie die Schale einmal hochzuhalten oder einen DFB-Pokal zu gewinnen ist mir leider verwehrt geblieben. Es würde zwar an meinem heutigen Leben nichts ändern, aber schade ist es trotzdem.
Anfang der 2000er haben Sie bei Hertha BSC gespielt. Die letzten zwei Saisons unter Pal Dardai waren mit Platz 6 und 7 sehr erfolgreich. Wo sehen Sie die Hertha diese Saison? Klappt es vielleicht sogar mit der Champions League?
Wie man die Doppel- bzw. Dreifachbelastung verkraftet, ist diese Saison entscheidend. Im Pokal spielen sie gleich gegen Rostock, eventuell ist es danach nur mehr eine Doppelbelastung (lacht). Wenn du plötzlich europäisch spielst, kommt eine gewaltige Umstellung auf einen zu. Die mentale Belastung, die entsteht, wenn du auf mehreren Hochzeiten tanzt und viel unterwegs bist, darf man nicht unterschätzen. Die Spieler müssen dabei den Fokus auf der Bundesliga halten, damit man nächstes Jahr wieder international spielt und es keine Eintagsfliege bleibt.
Was trauen Sie der Hertha in der Europa League zu?
Sie werden in der Gruppenphase eine gute Rolle spielen. Pal Dardai ist ein sehr guter Trainer, der sicher auch in der Europa League überraschen kann.
Valentino Lazaro ist gerade zur Hertha gewechselt und somit der nächste Österreicher unter vielen weiteren in der deutschen Liga. In der zweiten Liga spielen ebenfalls viele österreichische Legionäre. Wie sehen Sie diese Entwicklung im österreichischen Fußball?
Zwischen österreichischer und deutscher erster Liga besteht natürlich ein immenser Unterschied. Genau deswegen ist es ja ein großer Schritt von Österreich nach Deutschland, obwohl es keine Sprachbarriere gibt. Zwar hat der Fußball in Deutschland sicher noch einmal höhere Priorität als in Österreich und wird noch verbissener gesehen, aber einige setzen sich in Deutschland durch und das kann für die Entwicklung nur positiv sein.
Bei einem weiteren Ihrer Ex-Klubs, dem HSV, läuft seit mehreren Jahren einiges schief. Wird es nächste Saison besser?
Ich hoffe es für den Verein und die Fans. In Hamburg sind ja alle verrückt nach dem HSV, wenn man nicht gerade St.Pauli-Fan ist (lacht). 50000 Fans bei jedem Heimspiel sprechen für sich, denke ich. Ich hoffe, dass sich das sportlich bald wieder auszahlt und eine Mannschaft spielt, die auch Erfolg hat. Wenn das so weitergeht, dass man nach zwei, drei Erfolgen immer in einen Negativstrudel kommt und gegen den Abstieg spielt, geht das irgendwann schief.
Ist der HSV also nicht unabsteigbar?
Im Moment sieht es so aus und es kann auch gerne so bleiben, aber dafür muss auf dem Platz mehr geschehen. Lange geht das sonst in der Form nicht mehr gut.
Warum ist der HSV schon so lange das Sorgenkind der deutschen Liga?
Wenn das einer wüsste, hätte er es wahrscheinlich geändert. Man kann zwar die Struktur im Verein ändern und hundertmal den Trainer wechseln, aber entscheidend ist die sportliche Qualität. Wenn man sich die letzten Jahre ansieht, kann man nicht von der sportlichen Qualität sprechen, die oben mitspielt, sondern eher um Platz 10 bis gegen den Abstieg.
Ist das nicht verwunderlich bei den hohen Millionenbeträgen, die Investor Kühne in den Verein gesteckt hat?
Geld schießt meistens Tore, aber nicht immer. Ein Glück, dass er so viel investiert und den Verein unterstützt, sonst würde es für den HSV noch schwieriger werden. Da muss man vielleicht beginnen sich zu hinterfragen, woran es liegt, dass man seit Jahren keinen Erfolg hat und nur gegen den Abstieg spielt.
Was würden Sie als Manager des Vereins anders machen?
Von außen ist das schwierig. Einfach gesagt: Ich würde versuchen eine erfolgreiche Mannschaft zusammenzustellen, aber das probieren ein Heribert Bruchhagen, Jens Todt oder Markus Gisdol jeden Tag. Ich bin überzeugt, dass alle Verantwortlichen jeden Tag alles geben, damit es mit dem Verein vorangeht. Man darf aber nicht vergessen, dass es noch Gegenspieler am Wochenende, Verletzungssorgen etc. gibt. Wie ich Manager bei Hansa Rostock war, hat mir ein Kollege gesagt: Paule, sogar, wenn jetzt alle 18 Teams ihr Potenzial zu hundert Prozent abrufen, müssen am Ende drei Mannschaften absteigen. Da haben wir gerade gegen den Abstieg gespielt und haben alles gegeben. Letztendlich sind wir trotzdem abgestiegen.