Ralph Gunesch im bwin Interview: Meisterfelge, geborene Reporter und der Tag X
Ralph Gunesch im bwin Interview: Meisterfelge, geborene Reporter und der Tag X

Ralph Gunesch im bwin Interview: Meisterfelge, geborene Reporter und der Tag X

Solange der Ball nicht rollt, bleibt auch sein Mikrofon stumm: Ralph Gunesch! Der frühere Aufstiegs- und Derbyheld des FC St. Pauli (198 Einsätze) ist beim 2016 an den Start gegangenen Streamingdienst DAZN einer der Kommentatoren der ersten Stunde – und dank seiner eloquenten Art und flotten Sprüche bei vielen Usern beliebt! Der Wechsel vom grünen Rasen hinter das Mikrofon kam durch Marco Hagemann zu Stande.

„Bei den Testläufen im Rahmen des International Champion Cups haben die Leute dann gemerkt: Oh, der erzählt ja gar nicht mal so viel Quatsch“, blickt der 36-Jährige zurück. „Wir haben bei DAZN einen Leitfaden, aber ein Das-darfst-du-nicht gibt es eigentlich nicht.“ Klartext spricht Ralph Gunesch nun auch im bwin Interview und stellt für die Fans eine Top 5 an Spielen zusammen, die man sich während der Coronavirus-Zwangspause ein 2. Mal ansehen sollte.

bwin: Herr Gunesch, haben Sie sich schon in die Wyschejschaja Liha (Weißrussland) reingefuchst, die als letzte europäische Liga dem Coronavirus trotzt?

Ralph Gunesch: „Bis jetzt gab es keine Berührungspunkte mit der Liga und ich gehe auch nicht davon aus, dass sich das zeitnah ändert.“

bwin: Wie muss man sich stattdessen den Tagesablauf eines DAZN-Reporters und Jugend-Trainers (FC Ingolstadt) im Home Office so vorstellen?

Gunesch: „Ich beobachte die allgemeine Entwicklung, führe Telefonate mit ehemaligen Mitspielern wie Danny da Costa und versuche weiter, auf geregelte Schlafenszeiten zu achten. Das NLZ in Ingolstadt ist natürlich auch geschlossen. Die Jungs arbeiten ihre Trainingspläne ab, die vom Trainerteam teilweise per Video kontrolliert werden. Nur bei meinem Hund bekomme ich den Eindruck, dass er gar nicht mehr jeden Tag spazieren gehen möchte (lächelt).

bwin: Sind Sie wiederum dankbar, in dieser Zeit nicht in der Haut eines (vertragslosen) Fußballprofis zu stecken?

Gunesch: „Absolut. Ich möchte gerade mit keinem Spieler tauschen – egal mit wem. In jeder Sommerpause kommt doch immer der Punkt, an dem du dir denkst: Geil, in 2 Wochen geht die Vorbereitung los und am Tag X haben wir das erste Spiel. Dieser Punkt X ist gerade nicht da. Es fehlt ein klares Ziel vor Augen, woran du dich klammern kannst.

Wenn man über Playoffs debattiert, müssen auch 9 Spieltage möglich sein“

bwin: Was sind die Top 5-Spiele, die sich jeder Fan während der Zwangspause mindestens ein 2. Mal angucken sollte?

Gunesch: „Die beiden Champions League-Halbfinalduelle in der Vorsaison waren schon eine Klasse für sich. Alleine die 2. Hälfte bei Ajax gegen Tottenham. Dazu möchte ich das Champions League-Endspiel von 1994 sowie die legendäre ‚Remontada‘ von Barcelona gegen PSG nennen. Und allen Fans, die im Messi/Ronaldo-Zeitalter groß geworden sind, lege ich die gesamte WM 1986 ans Herz, wo schon einmal ein kleiner Argentinier mit einem linken Zauberfuß die Welt begeistert hat.“

bwin: Von einem Saison-Abbruch ohne Auf- und Absteiger bis hin zu Playoffs geistern derzeit viele Ideen durch die Fußballwelt. Welche wäre in Ihren Augen die fairste Lösung?

Gunesch: „Eine Königslösung gibt es nicht. Das wissen auch DFL und DFB. Für die geht es eher darum, noch einen gewissen Handlungsspielraum zu behalten. Bei einem Abbruch sinkt dieser ja komplett auf Null. Immer unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Aspekte denke ich: Wenn man über Playoffs debattiert, muss es nach der Verschiebung der EURO 2020 für die Bundesliga auch möglich sein, die ausstehenden 9 Spieltage durchzuziehen, und so die Zahl der Verlierer klein zu halten.

bwin: Gemäß dem Fall die Bundesliga wird Ende Mai/Anfang Juni doch wieder angepfiffen: Wie schnell ist ein Team vom Fitness-Level und Zusammenspiel her wieder auf Top-Niveau?

Gunesch: „Hier kann ich leider nicht aus langjähriger Erfahrung sprechen, was die Trainingssteuerung angeht. Die Probleme bei einem Neustart sehe ich aber mehr im mentalen als im physischen Bereich. Mit dem Finger schnippen und den Wettbewerbs-Modus anschalten, können sicher die wenigsten. Dazu muss man ja auch mit den besonderen Umständen bei möglichen Geisterspielen umgehen können.“

bwin: Bayern München, der BVB und RB Leipzig kämpfen um die Meisterschaft. Könnte einer gar von der Pause profitieren?

Gunesch: „Auch wenn ich bei dieser Frage alle 18 Teams einbeziehen würde: Nein. Selbst Eintracht Frankfurt nicht, die in den letzten 2,5 Jahren gefühlt durchgespielt haben.“

bwin: Zurück zu Ihrer Person: 8 ihrer 14 Profi-Jahre verbrachten Sie beim bwin Partnerklub FC St. Pauli. Man hört häufig: Wer das Millerntor verlässt, der geht als anderer Mensch!

Gunesch: „Das unterschreibe ich doppelt. Schließlich war ich mehr als einmal in Hamburg, um für St. Pauli zu spielen und habe auch bestimmte Ansichten außerhalb des Platzes mitgenommen. Eine Mannschaft in dieser Konstellation – heißt im Verbandspokal auf Asche gegen Achtligisten und einige Jahre später in der Bundesliga zu spielen – wird es im deutschen Fußball vielleicht nie mehr geben. Klar, einige Jungs wie Max Kruse oder Finn Bartels hätten es mit ihrem Talent vielleicht irgendwie oben geschafft. Wenn wir uns sehen, sagen wir jedoch immer: Ohne einander und die Tore von Marius Ebbers hätten wir es alle nie geschafft.“

Werde nicht der Nächste Nagelsmann sein“

bwin: Den Aufstieg in die Bundesliga schafften Sie im Herbst der Karriere auch noch mal mit dem FC Ingolstadt. Hat die „Radkappe“ für Felgenralle, wie sie auch genannt werden, eine besondere Bedeutung?

Gunesch: „Auf die Zeit beim FCI schaue ich etwas differenziert zurück. Einerseits konnte ich durch meinen Kreuzbandriss sportlich nicht so viel beitragen, habe aber versucht in der Kabine bestimmte Dinge anzustoßen. Den Gag mit der Meisterfelge vor dem Auto konnte ich mir dann nicht entgehen lassen – ein Foto für die Ewigkeit!“

bwin: Sehen Sie sich künftig eher als Trainer oder im medialen Bereich?

Gunesch: „Prinzipiell mache ich die Trainerscheine nicht ohne Grund. Zur Saison 2021/22 strebe ich die Fußball-Lehrer-Ausbildung an. Der Job bei DAZN ermöglicht mir währenddessen einen anderen Blick auf den Fußball. Mit 36 Jahren muss ich als Trainer aber erst noch laufen lernen und werde wohl nicht der nächste Julian Nagelsmann sein.“

bwin: Sie gelten als Liebhaber und Experte der Premier League. Welcher der 13 deutschen Legionäre hat hier den größten Sprung nach vorne gemacht?

Gunesch: „Die Rolle von Joel Matip in Liverpool hat ihm so wohl niemand zugetraut. Obwohl er auch mit Verletzungen zu kämpfen hatte, strahlt er diese besondere Ruhe eines Top-Verteidigers aus. Dazu kommt Pascal Groß, mit dem ich in Ingolstadt noch selbst zusammenspielen durfte. Sein erstes Jahr mit 15 Scorerpunkten war unglaublich. Mit einem Team wie Brighton & Hove Albion nun 3 Jahre Premier League zu spielen, verdient hohe Anerkennung. Es würde mich wundern, wenn Pascal nicht bei einigen Bundesligisten auf dem Zettel steht.“

Einen Pascal Groß werden einige Bundesligisten auf dem Zettel haben“

bwin: Teilweise großes Theater gibt es um Mesut Özil und Shkodran Mustafi beim FC Arsenal. Was ist schief gelaufen?

Gunesch: „Man muss die komplexe Gesamtsituation bei Arsenal betrachten. Ein Verein, der lange von einer prägenden Figur geleitet wurde und jetzt auf der Suche nach seiner Identität ist. Daran verzweifelt ja auch Manchester United in der Post-Ferguson-Ära. In der aktuellen Situation werden alle Transferplanungen hinten angestellt. Vielleicht eröffnet das den beiden – ähnlich wie nach einem Trainerwechsel – wieder eine Perspektive.“

bwin: Mit welchen Ihrer ehemaligen Mitspieler würden Sie gerne mal ein Champions League-Spiel kommentieren?

Gunesch (überlegt): „Wer ist denn der geborene Reporter? Timo Schultz oder Fabian Boll könnte ich mir gut vorstellen. Unser Leitfaden bei DAZN ist ja nicht die meist offensichtlichen Fehler und Szenen bei Gegentoren zu analysieren, sondern den Zusammenhang, warum das gerade in dieser Sekunde passiert ist und Lösungen aufzuzeigen. Der Faktor Unterhaltung darf heutzutage natürlich nicht zu kurz kommen. Aber die wäre mit einem Typ wie Max Kruse definitiv auch gegeben.“

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