Jens Nowotny: Rassismus beim DFB? Nein!
Jens Nowotny: Rassismus beim DFB? Nein!

Jens Nowotny: Rassismus beim DFB? Nein!

Jens Nowotny war Nationalspieler, wurde in der legendären Saison mit Bayer Leverkusen unter Klaus Toppmöller 2002 Vizemeister, stand im Finale der Champions League und im DFB-Pokal-Finale. Im bwin-Interview bezieht er Stellung zur Özil-Affäre beim DFB, Rassismus, der 50+1-Regel in der Bundesliga und dem FC Bayern.

BWIN: Wie haben Sie das überraschende Aus der deutschen Mannschaft bei der WM erlebt?

Nowotny: Im Prinzip hat sich alles, was sich im Vorfeld als Problem abgezeichnet hat, bei der WM bewahrheitet. Die Thematik um Özil und Gündogan, das Wahl des Team-Camps, die schlechte Mischung aus Erfahreneren und jungen Hungrigen, die Nichtnominierung von Sane etc. Diese vielen verschiedenen Dinge haben alle ihren Teil dazu beigetragen, dass man im Endeffekt ausgeschieden ist – und das zurecht.

BWIN: Würden Sie sagen, dass die Nichtnominierung von Sane ein entscheidender Faktor für das Ausscheiden war?

Nowotny: Wenn ein Spieler wie Sane eingewechselt werden kann, der immer für eine Überraschung gut und nicht so ein geradliniger Spieler wie Julian Brandt oder Goretzka ist, hat man einfach mehr Möglichkeiten, um Dynamik ins Spiel zu bringen. Zum Ausscheiden hat – wie bereits erwähnt – vieles beigetragen und da war die Nichtnominierung von Sane sicher ein Faktor.

BWIN: Sie haben Mesut Özil erwähnt, er ist zurückgetreten und hat damit eine Debatte rund das Thema „Rassismus“ in Gang gebracht. Hat der DFB ein Rassismus-Problem?

Nowotny: Nein, überhaupt nicht.

BWIN: Nein?

Nowotny: Die ganzen Entscheidungen, die getroffen wurden, hatten in keinster Weise etwas mit Rassismus zu tun. Da sind von beiden Seiten Worte gefallen, die nicht hätten fallen müssen, aber das man deswegen jetzt eine Rassismus-Debatte lostritt, halte ich für schwer übertrieben. In der ganzen Situation gibt es ja jetzt nur Verlierer: Das Team selbst, das ausgeschieden ist, Mesut Özil, der zurückgetreten ist und natürlich die Fans.

BWIN: Der DFB hat mit dem ehemaligen Nationalspieler Cacau einen Integrationsbeauftragten, der sich in der Causa gegenüber Özil geäußert hat und meinte, dass man mit Kritik umgehen können müsse. Würden Sie ihm da zustimmen?

Nowotny: Also Kritik muss jeder vertragen können. Konstruktive Kritik ist immer positiv. Deswegen ist die Aussage von Cacau absolut in Ordnung.

BWIN: Özil hat sich bis heute nicht für das Erdogan-Foto entschuldigt, es sogar eher gerechtfertigt. Wie sehen Sie das?

Nowotny: Wenn Özil dieses Foto bewusst gemacht hat und ein Statement setzen wollte, dann ist das im Zuge der herrschenden Meinungsfreiheit in Deutschland sein gutes Recht. Er muss aber auch mit den Konsequenzen und Unmutsäußerungen der Leute leben, die sich im Stadion oder im Internet gegen ihn richten. Das ist genauso Meinungsfreiheit und nicht gleich Rassismus oder ähnliches. Das muss jeder in Deutschland respektieren. Es ist schade, dass es so gelaufen ist. 98% der Deutschen finden das wahrscheinlich traurig. Das hat der DFB nicht verdient, das hat auch Mesut Özil nicht verdient. Jetzt ist es nun mal so. Deswegen muss man sich in Zukunft genau eine Frage stellen: Ist Fußball politisch oder nicht? Man kann sich ja nicht weiterhin hinter dem Satz verstecken, dass Fußball oder Sport unpolitisch wäre. Damit macht man es sich heutzutage viel zu einfach.

BWIN: Dass sich die Führungsspieler rund um Kapitän Neuer sehr lange Zeit gar nicht zu dem Thema zu Wort gemeldet haben, wurde von vielen Leuten kritisiert. Sie waren selbst viele Jahre Kapitän. Wie wären Sie mit der Situation umgegangen?

Nowotny: Das ist irrsinnig schwer aus externer Perspektive zu beurteilen. Neuer war ja vor und während der WM selbst in keiner angenehmen Position, weil kritisiert wurde, dass man einen nicht zu hundert Prozent fitten Torhüter als Nummer Eins mitnimmt. Auch bei den anderen Bayern-Spielern hat man gemerkt, dass sie aufgrund der hohen Erwartungen sehr an sich zu knabbern hatten und mit der Leistung, die sie erbracht haben, sicher nicht zufrieden waren. Und neben diesen ganzen Problemen muss man dann auch noch Mitspieler führen. Das ist gar nicht so einfach, deswegen möchte ich mir hier nichts anmaßen.

BWIN: Welche Schlüsse muss man aus dieser verkorksten WM ziehen?

Nowotny: Ich denke, dass man genauso wie nach den Europameisterschaften 2000 und 2004, nach denen man die NLZ-Offensive gestartet hat, ein Umdenken in Gang bringen muss. Zum Beispiel andere Wege gehen, die man vorher nicht gegangen ist, weil es gut gelaufen ist. Jetzt ist etwas schiefgelaufen, was aber andere Topnationen wie Spanien auch erlebt haben. Jetzt muss man sich ein wenig neu erfinden, aber glücklicherweise nicht den ganzen Fußball. Konkret würde mir einfallen, dass wir die Individualität der einzelnen jungen Spieler wieder mehr fördern müssen

BWIN: Sie waren viele Jahre bei Bayer Leverkusen. Der Verein ist zurück im Europacup und konnte mit heutigem Stand alle Talente beim Team halten. Was ist für Leverkusen diese Saison möglich?

Nowotny: Legitim ist es sicher, wenn man zumindest die Champions League-Qualifikation als Ziel ausgibt. Die Schwierigkeit besteht diese Saison sicher darin, dass man auf dem Papier zwar eine junge Mannschaft hat, die von den Gegnern aber als erfahrenes Team wahrgenommen wird. Da sind ja mehrere Spieler dabei, die an einer Weltmeisterschaft teilgenommen haben oder auch schon Champions League gespielt bzw. den Confed Cup gewonnen haben.

BWIN: Wie ordnen Sie Aussagen von Kapitän Bender oder Leon Bailey ein, die als Ziel auch schon vom Meistertitel gesprochen haben?

Nowotny: Dadurch, dass die Bayern für mich diese Saison die größte Wundertüte sind, ist dieses Ziel für mich durchaus realistisch. Hier gibt es endlich wieder die Chance, dass auch ein anderes Team deutscher Meister werden kann.

BWIN: Warum ist Bayern die größte Wundertüte?

Nowotny: Die anderen Vereine haben aufgerüstet und sich gezielt positionell verstärkt. Bei den Bayern sehe ich eine potenzielle Gefahr, wenn ein Mentalitätsspieler wie Arturo Vidal den Verein verlässt oder eine Führungspersönlichkeit wie Jerome Boateng geht. Wenn diese Mannschaftspfeiler wegfallen und nicht adäquat ersetzt werden, haben sogar die Bayern ein Problem. Lewandowski ist zwar noch beim Verein, aber ist er mit Kopf und Herz voll bei der Sache? Es hat eher den Anschein, dass er sauer ist, weil er nicht wechseln durfte. Schafft Manuel Neuer die neue Saison auf diesem Belastungslevel? Da tun sich viele Fragen auf und deswegen besteht hier die Chance für Leverkusen, Schalke, Dortmund etc., um in dieses Loch zu stoßen.

BWIN: Wo würden Sie die Bayern derzeit international einordnen?

Nowotny: Im Champions League-Viertelfinale.

BWIN: Ronaldo ist als 33jähriger kürzlich für über 100 Millionen Euro zu Juventus Turin gewechselt. Ist das zu viel Geld für einen Spieler dieses Alters? War es aus Sicht des Vereins ein kluger Schachzug in Richtung Internationalisierung?

Nowotny: Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Funktionär des italienischen Verbandes es sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen hat, dass endlich wieder ein absoluter Weltstar in die Serie A wechselt. Auch aus Sicht von Juventus Turin ist es ein cleverer Transfer, um den Bekanntheitsgrad zu erhöhen. In der Sekunde, in der es publik wurde sind sowohl Onlinezugriffs- als auch Followerzahlen auf Social Media in die Höhe geschossen. Das ist ja mittlerweile bares Geld wert. Von Trikotverkäufen ganz zu schweigen.

BWIN: Die Serie A versucht wieder eine Liga der Topstars zu werden, die Premier League zahlt astronomische Summen, die Serie A hat Barcelona und Real Madrid und die Ligue 1 hat das Geld der Kataris. Wie kann die Bundesliga wieder aufschließen?

Nowotny: Das wird nicht funktionieren, so lange es die 50+1-Regel gibt.

BWIN: Würden Sie diese abschaffen?

Nowotny: Ich würde mir schwertun, derjenige zu sein, der das final absegnet. Ich bin aber davon überzeugt, dass es unaufhaltsam ist, wenn man nicht komplett den Anschluss verlieren will.

BWIN: Die englischen Clubs haben sich selber eine kürzere Transferfrist verordnet. Karlheinz Rummenigge hat kürzlich ebenso dafür plädiert, damit die Vereine mit ihren Teams besser für die Saison planen können. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag?

Nowotny: Ich fände es sehr gut, wenn die Frist vor dem ersten Spieltag enden würde. Das würde vielen Spekulanten den Wind aus den Segeln nehmen. Vielleicht wäre damit schon der erste Schritt getan, um diesen horrenden Ablösesummen zumindest einen kleinen Riegel vorzuschieben. In England haben sich die Clubs aber – soweit ich weiß – eine Hintertür offengelassen. Dort schließt das Fenster nur für die Einkäufe, aber nicht für die Verkäufe. Somit wäre weiterhin Raum für die Spekulation, die wir kennen und die erst zu diesen hohen Summen führt.

BWIN: Horrende Ablösesummen werden gezahlt. Sehen Sie ein Ende dieser Entwicklung? Ist das unmoralisch?

Nowotny: Mir hat einmal jemand gesagt: Etwas ist so viel wert, wie ein anderer bereit ist dafür zu zahlen. Die Grenze ist noch nicht erreicht. Die Menschen, die heute so viel für einen Spieler zahlen, haben morgen ja wahrscheinlich noch mehr Geld. Da machen 100 Millionen Euro mehr auch keinen Unterschied. Jemand der 10 Millionen Euro pro Tag mit Öl, Gas oder ähnlichem verdient, der leistet sich einen Ronaldo oder Neymar in ein paar Jahren auch um 600 Millionen Euro. Fußball ist die moderne Form von Brot & Spielen. Die Fans sind eben verrückt nach den Stars.

BWIN: Viele Leute sprechen davon, dass die Blase irgendwann platzen wird.

Nowotny: In Deutschland noch länger nicht, weil hier noch viel Luft nach oben ist. Je nachdem, wann die 50+1-Regel fällt. Natürlich kann es sein, dass der Markt in anderen Ländern ein wenig einbricht. Eventuell werden einige Vereine Insolvenz anmelden müssen, weil sich der Investor zurückzieht. Ich glaube jedoch nicht, dass die Blase komplett explodiert.

BWIN: Wo steht die deutsche Liga im internationalen Vergleich? 2013 gab es das rein deutsche Champions League-Finale, die letzten Jahre konnte man kein Wort um den Titel mitreden.

Nowotny: Im internationalen Vergleich würde ich sagen, dass die deutsche Liga derzeit im Viertelfinale der Champions League steht – im übertragenen Sinn. Für die Europa League ist genügend Qualität vorhanden, da hoffe ich auch, dass Leverkusen für Furore sorgt. Mittelfristig ist es aber die Nachwuchsausbildung viel wichtiger. Da gilt es jetzt umzudenken, damit wir vielleicht nicht bei der nächsten, aber eventuell bei der übernächsten Weltmeisterschaft wieder ganz vorne dabei sind.

BWIN: Wäre für Sie ein gutes Jugendmodell eine Möglichkeit, um mit finanzkräftigeren Ligen wie der Premier League zu konkurrieren?

Nowotny: Die Ausbildungsinitative soll ja dazu führen, dass die Liga mehr Geld einnimmt. Junge, gut ausgebildete Spieler werden an die finanzstärkeren Ligen für viel Geld verkauft und mit dem Geld kann man dann mehr „fertige“ Spieler in die Bundesliga holen. Ein Schlüssel könnte es hier sein, wenn ich in der Jugend z.B. gezielt einzelne Positionen ausbilde. Wenn man einen Kai Havertz um 20 Millionen Euro verkauft, dann sind die 1,5 Millionen Euro Ausbildungskosten schon wieder eingenommen.

BWIN: In Österreich wurde ein neues Playoff-System in der Liga eingeführt. Begrüßen Sie es, wenn solche neuen Wege gegangen werden oder empfinden Sie das als unpassend im Fußball?

Nowotny: Das Problem am Playoff-System ist, dass das Medieninteresse bei den Playoffs im unteren Teil der Tabelle extrem abnehmen wird. Viele erhoffen sich ja mehr Spannung und Ausgeglichenheit der Liga, aber ich glaube auch, dass sich im oberen Teil der Tabelle durch das Playoff nichts ändern wird. Die Langeweile, die die letzten Saisons in der Bundesliga geherrscht hat, wäre weiter vorhanden.

BWIN: Auch für kleinere Ligen wie die österreichische ist es nicht passend?

Nowotny: Man kann es nur in einer von Vornherein ausgeglichenen Liga einführen, aber nicht bei einer, die von einem Team dominiert wird. So wie es in Österreich Red Bull Salzburg und in Deutschland Bayern München ist.

BWIN: Sie waren viele Jahre beim KSC, der in der dritten Liga spielt. Würden Sie diese als beste dritte Liga der Welt bezeichnen? Wie erklären Sie sich das vergleichsweise hohe Niveau und starke Faninteresse für eine dritte Liga?

Nowotny: Dem würde ich absolut zustimmen. Namentlich ist es mit die attraktivste Liga und was die Fans anbelangt kann die Liga ja sogar fast mit der ersten Liga mithalten. Es ist ein Augenschmaus, wenn man diese vielen Traditionsvereine sieht – leider Gottes nur in der dritten Etage. Viele Vereine hatten vor Jahren schon finanzielle Probleme, die nicht gelöst wurden bzw. die man vor sich hergeschoben hat. So etwas rächt sich mit der Zeit und dadurch mussten viele Vereine einen Neustart durchführen. Deswegen sieht man so viele Traditionsvereine in der dritten Liga.

BWIN: Der KSC ist mit zwei Unentschieden in die Saison gestartet. Ist das in Ihren Augen ein Fehlstart oder noch nichts Beunruhigendes?

Nowotny: Letztes Jahr wurden die ersten paar Spiele nicht gewonnen. Man muss ja erst einmal ankommen und man steht diese Saison schon einmal um zwei Punkte besser da, als noch vor einem Jahr. Am Ende der letzten Saison hat es ja auch nur ganz knapp nicht für den Aufstieg gereicht.

BWIN: Was ist für die Mannschaft diese Saison möglich?

Nowotny: Der Aufstieg ist möglich. Der KSC hat letzte Saison gezeigt, dass er sich aus einer schwierigen Situation herausziehen kann. Dann wäre man sogar fast noch aufgestiegen. Diesen Kampfgeist muss man erst einmal auf den Platz bringen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass der Aufstieg diese Saison drinnen ist.

BWIN: Gibt es potenzielle Unruheherde beim KSC?

Nowotny: Nein, das glaube ich nicht. Die Mannschaft ist hungrig, die Fans sind erstligareif und das Umfeld ist relativ ruhig. In Extremsituationen sieht man natürlich erst, wie Fans und Mannschaft zusammenstehen, aber Probleme erwarte ich mir da keine.

BWIN: Schmerzt es Sie, wenn Sie Ihre Zeit beim KSC mit dem Höhepunkt des UEFA Cup-Finales mit dem heutigen Drittligaalltag des Vereins vergleichen?

Nowotny: Natürlich ist es immens schade. Vor allem, weil man weiß, wo man schon mit dem Verein gewesen ist und wo er auch hingehört, weil das Umfeld sensationell ist. Damals wurden während des Erfolgs auch viele Fehler gemacht. Man hat sich ähnlich wie das Nationalteam auf den Erfolgen ausgeruht und das rächt sich ein paar Jahre später.

BWIN: Sie waren am Ende Ihrer Karriere auch bei Dinamo Zagreb. Kroatien ist gerade Vizeweltmeister geworden und es gab in dem kleinen Land eine riesige Euphorie. Im Zuge dessen ist untergegangen, dass es insbesondere rund um Dinamo Zagreb und den Funktionär Mamic immer wieder Betrugsskandale gab. Wie haben Sie das erlebt?

Nowotny: Ich habe davon nicht besonders viel mitbekommen. Gerüchte gab es immer wieder, aber ich glaube ich kann für alle Spieler sprechen, wenn ich sage, dass man nur darüber nachdenkt, dass man Fußball spielen möchte und einen der Rest nicht interessiert. Das kann natürlich auch falsch sein. Aber wenn man selbst ein reines Gewissen hat und auch steuerlich alles erledigt hat, dann interessiert einen das Drumherum nicht.

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